Zeitgeist: Instant

Es ist ja schon seit Jahrzehnten der Trend hin zum Schnelleren. Die Gesellschaft beschleunigt, man produziert immer mehr in immer kürzerer Zeit. Und man will sich nicht mehr die Zeit für Dinge nehmen, für man sich früher einfach Zeit nehmen mußte: PCs zum Beispiel. Man mußte vieles einrichten. Das dauerte oft mal eine ganze Nacht lang.

Das will man heute nicht mehr. Alles muß schnell, schnell, instant und vorallem einfach sein. Letzteres kann ich verstehen. Aber zu welchem Preis? Heute kauft man sich ein Handy. Da ist schon vieles drin, was man braucht. Das Installieren von Whatsapp dauert im Normalfall nur noch Sekunden und *zack* schon sind alle aus dem Adreßbuch automatisch in deiner Whatsappliste (dein Adreßbuch wird dafür natürlich hochgeladen). Der Preis dafür ist klar: Deine Privatsphäre. Ich will nun nicht weiter auf das „ich hab ja nix zu verbergen“-Geschwätz oder das noch unsinnigere „Die können dich eh überwachen“-Gelaber eingehen. Es ist in meinen Augen nichts weiter als eine saudumme Ausrede, um sich bloß nicht damit befassen zu müssen.

Ich habe schon in den 1990er Jahren gechattet, hatte, sozusagen damals schon einen Instant-Messenger, wenn man es genau nimmt: IRC, danach kam ICQ und mit dem ICQ kam Jabber (XMPP) auf. Aber: Man mußte sich ein paar Minuten damit befassen, ehe es losging. Heute dürfen es nur noch Sekunden sein. Alles andere wäre ja nicht mehr zeitgemäß, oder, anders gesagt zeitgeistkonform. Mir ist egal, was der Zeitgeist mir sagt – ich benutze nur das, was ich für mich und vor meinem Gewissen verantworten kann. Wenn Menschen mit mir zu tun haben wollen, installieren sie sich halt Telegram oder, noch besser, Jabber oder schreiben mir eine gute alte Email (die, das muß man allerdings wissen, unverschlüsselt kein Brief, sondern eine Postkarte ist!).

Ich sehe zu allererst den Preis, den man für „Instant“ bezahlt. Die AGBs, die man sich da antun muß. Wobei es bei den meisten schon reicht, sie zu überfliegen, um bei mir einen Brechreiz auszulösen. Da denke ich dann „meinen die das ernst?“ – Sicher! Das nennt sich Kapitalismus: Möglichst viel mit möglichst wenig aufwand heraussaugen. Und Daten=Geld. Auch das ist klar. Aber selbst zum AGBs lesen ist man heute nicht mehr bereit. „Es machen doch alle so“, sagt man dann entschuldigend. Mir kommt dabei – vom Prinzip her – immer der Gedanke der Gesellschaft in der Nazizeit: 1938 waren auch „alle“ Nazis. Und? War es richtig? NEIN! Auch wenn „alle“ dabeiwaren und „alle“ mitgemacht haben. Im Grunde ist es in meinen Augen heute ganz genauso. Es ist schlichtweg saudumm, einen Vertrag zu unterschreiben (indem man an den AGBs ein Häckchen macht), ohne ihn zu kennen oder gar verstanden zu haben. Aber unsere heutige Instant-Gesellschaft ist genau so drauf: „Schnell abnicken, wird schon nicht so schlimm sein, damit es weitergeht“. Der Preis hierfür ist aus meiner Sicht heute noch gar nicht absehbar – oder man liest eben einfach mal die Offenbarung durch.

Inzwischen wird man ja auch zu bequem, mit Geld zu bezahlen. Also mit Bargeld. Es abzuheben, herumzuschleppen, damit zu bezahlen, Geld herauszubekommen. Das scheint alles unnütz Zeit zu kosten und Zeit ist ja Geld, ne? Daß aber mit jedem elektronischem „einfachen“ Zahlungssystem auch jede Zahlung erfaßt wird und gespeichert werden kann und man selbst damit nochmal gläserner wird, das scheint egal. Dieselben Pseudoargumente wie oben. Ich bezahle nachwievor gerne – und ja ich gebe zu, nicht nur – mit Bargeld. Aber meistens schon. In Frankreich wird man schon angeschaut als käme man von einem anderen Stern, wenn man das macht. Mir egal. Ich tue das, was ich für richtig halte. Schlimm wird es dann, wenn es garnicht mehr geht. In China muß man sich eine App aufs Handy installieren (wahrscheinlich wird es dann zu einer chinesischen Überwachungsstation), mit der man ausschliueßlich bezahlen kann. Bargeld gibt es in weiten Teilen längst nicht mehr. Es gruselt mich, wenn ich sowas erfahre. Es fühlt sich freiheitsberaubend an. Und genau dieses Gefühl fehlt bei den meisten heute völlig. Nichts wird da hinterfragt. Man ist blind, oder, wie die Bibel sagt, geblendet.

„Denk doch nicht so negativ über die Menschen“, bekam ich am Samstag gesagt. Es fällt mir in diesen Tagen echt schwer. In Zeiten zunehmender argloser Vernetzung aller möglichen Geräte von der Waschmaschine bis hin zum Auto wird so gut wie nicht darüber diskutiert, was es für unsere Freiheit bedeutet. Dafür ist alles „instant“, schneller, noch schneller. Ich sehe da vorne einen Abgrund und bremse, oder versuche es. Nein, ich muß nicht bei allem mitmachen, aber man wird zunehmend deswegen unter Druck gesetzt. Und genau das geht mit mehr und mehr auf die Nerven.
Ein Beispiel: Die Schule meiner Tochter verteilt ihren Vertretungsplan nicht über die eigene Webseite, sondern über einen Drittanbieter, dessen App fürs Handy zwar kostenlos ist, aber die Google Dienste braucht. Genau die will ich aber aus Datenschutzgründen auf meinem Gerät nicht haben. Mir bleibt also nur der Weg, über die Drittanbieter-Webseite zu gehen und dort das entsprechende PDF der Schule anzuschauen. Technisch gesehen könnte man das auch – paßwortgeschützt – über die eigene Webseite machen. Ich habe nun mal den Drittanbieter ein Feedback über meine Lage geschrieben. Ob was zurückkommt, ist fraglich. So wie ich das verstehe, wird sofort automatisch ein neu von der Schule hochgeladenes Dokument auf die entsprechenden Handys verteilt. Instant.

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