Eindrücke einer Party

Ich wurde zu einer Party eingeladen. Die war am Freitag. Ich konnte mich in meinem Betrieb früher loseisen und da ich ja ein Deutschland-Job-Ticket habe, beschloß ich, mit Fahrrad und Bahn zu fahren. Das war beim Umsteigen in Aschaffenburg schonmal sportlich, weil mein Zug Verspätung hatte – der Anschlußzug allerdings auch. Eine gute Stunde später kam ich dann in Langenprozelten an.

Ab da fuhr ich Fahrrad, da die Saaletalbahn gerade außer Betrieb war. Das Wetter war super, ich hatte nur leichten Gegenwind, allerdings war ich dann auch zu faul auf ne Karte zu schauen, sah aber einen Weg, und meinen eigentlichen Weg auch, nur waren da dummerweise Gleise dazwischen. Ich fuhr dann also die Gleise entlang. Wohlwissend, daß das falsch ist und hoffend, daß da bald ne Unter- oder Überführung kommt. 1,5km später kam die auch. Naja, ich hatte ja Zeit.

Ich fuhr dann das Saaletal hoch, was man durchaus ohne Karte machen kann, alles gut beschildert. So kam ich der alten Heimat näher. In Hammelburg traf ich mich noch mit einem Schulkameraden, den ich knapp 12 Jahre nicht mehr gesehen hatte. Er war früher viel mit Menschen unterwegs, hat sich inzwischen aber zurückgezogen, ihn regt einfach zuviel auf. Ich kann das nachvollziehen. Wir waren uns sehr einig, daß unsere Gesellschaft an sich unfreier und intoleranter geworden ist, daß wir von anfälliger, unsicherer Technik umgeben sind. Naja, er ist eben einer der 2% unserer Gesellschaft, die mit gesundem Menschenverstand an die Digitalisierung herangehen. Er ist selbstständiger ITler, aber im Herzen eben ein Handwerker und kein Mausschubbser.

Danach war ich kurz bei meinem Vater und war dann in Langendorf im Vereinsheim. Auf der Party. Es waren viele da, die ich gefühlt 100 Jahre nicht mehr gesehen habe. Schlimm wird es aber, wenn man sie nicht mehr wiedererkennt, weil sie in einem anderen „Kontext“ auftauchen, mit dem man selbst nicht gerechnet hat UND sie im Lauf der letzten 2 Jahrzehnte ihre Haarfarbe von dunkel auf weiß geändert haben. „Gell du weißt nicht wer ich bin?“ – Ich schüttelte den Kopf, naja, sie ging dann gnädig mit mir um. Es war die Schwester meiner Ex-Freundin.

Die meisten habe ich aber wiedererkannt, auch wenn es bei einigen etwas brauchte. Ein gebürtiger Vietnamese, der mit mir in die Grundschule ging, einige aus dem Dorf, viele Kinder der Kumpels, die mich einluden, kannte ich so natürlich auch nicht. Es wurde viel erzählt und alte Geschichten ausgegraben. Dinge, die heute undenkbar sind. Da saßen wir in einer Gaststätte. Wir waren 15, einer 14, nur einer war 16. Und der wettete, daß er einen ganzen Kasten Bier trinken kann – und bestellte ihn. Nach der 3. Flasche war ihm klar, daß er das nicht schafft. So tranken wir mit, ich meine, 1 Bier hatte ich auch getrunken. Wir stückelten so zusammen, wer da so alles dabei war und ihm fehlte die Info, daß auch der 14jährige dabei war. Daran konnte ich mich wiederum gut erinnern, da eben jener 14jährige tagsdrauf, es war ein Sonntag, kreidebleich während des Gottesdienstes in die Sakristei kam und nur sagte „ich hab gekoootzt.“ und es kam raus, daß er sich vor der Kirchentreppe entleerte. Er mußte das dann schnell mit ich glaube einer Gießkanne wegspülen. Es war wahrscheinlich für November 1989 normal, daß es nachts <<0°C hatte und daher war Eile geboten, bevor das festfror. Wir haben viel gelacht. Und wieder die Feststellung: Wir sind frei, ja, freier aufgewachsen als Kinder heute, die halt ständig per Handy ich sag mal „gebunden“ werden. da wird von Insta, TikTok & Co was vorgeturnt, was man irgendwie nachahmen muß, so in der Art.

Es war auch eine Band da, was ich jedoch eher vor kontraproduktiv hielt, weil ich mich ja gerne unterhalten habe. Das machte ich draußen, wo es dann frisch wurde. Wo es anderswo jedoch beim Thema „Corona“ schnell zu Dissenz kam, herrschte bei dem Thema, soweit ich das überrissen habe, Einigkeit. Das mag daran liegen, daß doch einige im Gesundheitssektor arbeiten, aber auch daran, daß es 2 Frauen im Dorf, damals Anfang 40, heftigst erwischt hatte. Es wurde das Gehirn befallen. Der Satz „…und dann mußte ich wieder sprechen lernen“ klingelt immernoch in meinem Ohr. Daher, ja, Impfung macht(e) durchaus Sinn. Zumindest eine der beiden erwischte es bevor es Impfungen gab. Keiner widersprach.

Einer verlor nur Wochen vorher seinen Vater, ich weiß nun garnicht, wie überraschend das kam. Er war eigentlich LKW-Fahrer, aber hatte Metzger gelernt und bis 1989 zog meine Oma 2 Schweine groß, die dann geschlachtet wurden und er wurde dazu engagiert. Es war eigentlich alles eingespielt, lief jedes Jahr im groben gleich ab und so fiel beim Därmeausputzen (=> Wurst!) von ihm jedes Jahr derselbe Satz: „Döff ma ned so arch saubermach, weechem Aroma!“ – Ein Satz, der sich in mein Hirn damals schon eingemeißelt hatte.

Gegen Ende, es war dann schon 1Uhr, sprach mich eine an, die ich wirklich nicht kannte. Es war die Ex-Freundin von einem, und die Ex-Frau von einem anderen, der nicht zugegen war. Sie kam zu einer Zeit zu der „Truppe“ dazu, in der ich schon in Zwickau am studieren war, kam eigentlich ~15km weiter weg aus einem anderen Dorf. Sie erzählte dann mir und noch einem Kumpel, der die Feier mitausgerichtet hat, von ihrem Leben als Alleinerziehende Mutter, wie schwierig das war und wie übel ihr Ex-Mann mit ihr und ihrem Sohn umging. Wie sie schon auf ihren Sohn einredete, daß sein Vater ihn doch liebt, bis er mal klar resumierte, daß er das nicht tut, weil er sonst dies und das (nicht) getan hätte. Er hatte aus meiner Sicht Recht und diese Erkenntnis schien für sie härter zu sein als für ihn. Inzwischen ist er volljährig und von dem was sie so erzählte, was auch mein Kumpel so mitbekam, hat sie vieles richtig gemacht.
Dennoch wünscht man sich an der Stelle, daß sie das alles hinter sich lassen kann, um (vielleicht übertreibe ich jetzt) wieder leben zu können. Sie schien noch ziemlich in der Scheiße emotional zu hängen. „Technisch“ gesehen kommt man da raus, indem man vergibt, denke ich so bei mir. Die Alternative ist anstrengender: Nachtragen, nicht aus der eigenen Opferrolle herauskommen. Aber das ist leichter gesagt als getan und wahrscheinlich geht das wirklich nur mit Jesus. Ihr Ex-Mann hatte 1996 inbrünstig gesungen, daß er Gott haßt. Instinktiv bin ich ihm schon immer eher aus dem Weg gegangen. Offensichtlich geht es ihm auch nicht um Beziehung, ging es nie, sondern um etwas anderes. Aber was, das kann ich nicht beantworten. Ihr kann ich nur wünschen, diese Vergangenheit abgestreift zu bekommen. Mit 18 scheint ihr Sohn, was ich gehört habe, reifer zu sein als sein eigener Vater.
Irgendwann sagte mein Kumpel, der mit zuhörte, zu mir „Halt mal mein Bier“ und dann drückte er sie erstmal herzlich.

Ich bin kurz danach zu meinem Vater, bzw. ins Bett gegangen. Am nächsten Tag gefrühstückt und die Saale wieder runter, an anderer Stelle verfahren, endlich war ich am DB-Haltepunkt, aber auf der falschen Seite, aber da war wirklich in der Nähe eine Unterführung, und so kam ich 4min vor dem pünktlich abfahrenden Zug an. In Aschaffenburg hätte ich 7min Umsteigezeit gehabt, beschloß aber, alles zu radeln. Nach 86km kam ich zu Hause an, um festzustellen, daß ich nochmal Wasser holen muß. Also nochmal Anhänger ans Fahrrad. Am Ende hatte ich 90km auf der Uhr, duschte und ging früh ins Bett.

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