Wir reden in letzter Zeit sehr viel von Freiheit, Datenschutz und Überwachung. Die Medien sind voll davon und ich finde es mehr als lächerlich, wie unsere „etablierten“ Politiker damit (nicht) umgehen. Vornerum „blabla“, hintenrum geben sie kleinbei, wahre Taten bleiben aus (Snowden hat auch in Deutschland Asyl beantragt…). Aber das ist garnicht das Thema.
Ich teste gerne meine Grenzen aus, was ich sagen darf, das noch „okay“ ist, was noch toleriert wird und was nicht. Es ist eine Sache, seine Meinung zu sagen und eine andere, über andere zu hetzen. Manchmal ist das auch für mich ein schmaler Grat (gerade, wenn ich an Türken denke, die vehement den Völkermord an den Armeniern leugnen).
Ich habe mich 1995 bekehrt. Das war zu einer Zeit, in der die kath. Kirche noch groß war und in gewisser Weise Meinung machte. Reflexartig stellte ich mich gegen viele Meinungen der Kirche und stieß damit auf Widerstand mit vielen meiner Kumpels und Verwandte, die sich einerseits über mich lustig machten, andererseits aber auch versuchten, mir meine Meinung auszureden. So empfand ich das damals jedenfalls. Ich bin durch meine Bekehrung aus einem gewissen gesellschaftlichen Gefüge ausgebrochen und mir war in vielen vielen Punkten auf einmal Scheiß egal, was andere über mich dachten. Das ist eine Freiheit, die ich bis heute noch sehr genieße ;-).
Kurz drauf zog ich von einem unterfränkischen 700-Seelen-Dorf nach Zwickau. Ich lernte viele neue Leute kennen und Integration war so gar kein Problem. Wir studierten zusammen und machten auch recht viel zusammen. Ich war zwar als Christ eher ein Außenseiter, doch kaum einer machte sich über mich lustig. Es war vielmehr so, daß man mich akzeptierte, wie ich war, auch wenn mir klar war, daß hie und da hinter meinem Rücken getuschelt wurde. Die Folge war, daß ich mich dort überaus wohlfühlte und ich empfand die Gesellschaft in Unterfranken als ziemlich einengend, wenn ich mit den Leuten zusammenkam, was ich durchaus noch gerne tat. Ausgerechnet Joachim Gauck, der Knilch, der Snowden „puren Verrat“ unterstellt, erklärte mir in einem Vortrag in Zwickau im evangelischen Gemeindehaus, warum ich mich in Zwickau so wohl fühlte. Er sagte, die Menschen im Osten hätten für ihre Freiheit gekämpft und leben sie bewußter, während man sich im Westen freiwillig gesellschaftlichen Gepflogenheiten unterwarf. Den genauen Wortlaut habe ich nicht mehr im Kopf, sinngemäß sagte er das aber und mir ging ein Licht auf ;-). Viele Leute im Osten attestierten mir Respekt, weil ich meinen Glauben so offen lebte. Ich konnte sogar mit meinem „Jesus Freaks“-Pulli in eine Gothicdisko gehen und mich mit den Leuten dort unterhalten. Überhaupt habe ich mich viel mit Leuten unterhalten, die ich allein mit Bibellesen dazu „provozierte“ ;-).
Ich beobachte heute, daß die Gesellschaft an sich immer intoleranter wird und vorallem Menschen, die vorgeben, tolerant zu sein, anscheinend ein anderes Verständnis von „Toleranz“ haben als ich. Von mir aus kann jeder seine Meinung sagen, sofern das nicht in Hetze (also wenn man nicht zum Lynchmob gegen Menschen oder sowas aufruft, das ist aber juristisch eh verboten) endet. Ich mußte gerade bei den Jesus Freaks in meiner Gemeinde viele andere Meinungen aushalten. Oft wurden sie mir auf sehr provokante Weise unter die Nase gerieben, was mich – glaube ich jedenfalls – fast immer kalt ließ. Ich ließ sie aber in ihrer Meinung und sagte dazu halt einfach meine. Und gut war. Das Zusammenleben klappte trotzdem – oder genau deswegen. Wir hatten Menschen, die der Meinung waren, daß Schwule durchaus heiraten undso sollen – und es gab eine Frau die dazu nur sagte, daß man Schwule dort, wo sie herkommt (Afrika) zu tode steinigt. Das mal nur so als Beispiel. Es gab noch ganz andere K(n)ackpunkte, die ich nun garnicht anführen will. Noch heute würde ich Leute in meiner Gemeinde tolerieren, die es für richtig halten, daß Schule heiraten sollten – ich bin eben anderer Meinung. Jeder muß die Meinung des anderen aushalten können. Wer das nicht kann, der ist in meinen Augen intolerant.
Wer auf diese Weise intolerant ist, versucht, der Gesellschaft seine Meinung aufzudröseln, das ist für mich eine logische Konsequenz, denn dann hat er diesen inneren Konflikt nicht mehr, den er aushalten müßte. Sicher wäre eine Gesellschaft harmonisch, die keine Konflikte mehr hätte, aber sie wäre keine freie Gesellschaft mehr, denn jegliche Meinung, die anders wäre, würde getilgt werden. „Freiheit ist immer die Freiheit der Andersdenkenden, sich zu äußern.“, soll Rosa Luxemburg gesagt haben und sie hat Recht damit.