Gerade habe ich einen Artikel in der „Zeit“ gelesen, in dem es um ettliche Kirchenaustritte im Bistum Ausgurg geht. Ich finde, daß die Zeit jetzt nicht so reißerisch ist wie zB der Spiegel, oderso, aber kann sein, daß ich mich da irre. Jedenfalls beleuchtet der Artikel den Zustand der Gläubigen in der Kirche. Ob sie nun sog. „Namenschristen“ oder „entschiedene Christen“ sind, will ich hier nicht beurteilen. Darum geht es gerade auch garnicht.
Mir fällt eine erhebliche Arroganz seitens der kath. Führungsriege auf, die nicht versteht, daß zB einige bislang aktive Gemeindemitglieder austreten oder am Austreten sind. Wo liegt das Kernproblem? Ich denke, an der Echtheit, an der Autentizität der Kirche bzw. derer, die sie als, ich sag mal Leiter (re)präsentieren.
Als ich ein Kind war, war in meinem Kopf der Pfarrer etwas ganz besonderes, man hatte Ehrfurcht vor ihm und man hätte im Traum nicht daran gedacht, daß ein Pfarrer erheblichen Mist bauen kann. Einen Bischof habe ich live nur an meiner Firmung gesehen. Dort schaute er ständig auf seine Uhr.
Schon als Kind hatte ich einen tiefen Zwiespalt zwischen dem, was ich in der Bibel im Religionsunterricht las und dem, was ich in er Kirche erlebte, gehabt. Ich kann mich noch sehr genau erinnern, daß wir im Religionsunterricht in der 3. Klasse folgende Bibelstelle gelesen hatten: „Er aber sprach zu ihnen: Wie fein hat von euch Heuchlern Jesaja geweissagt, wie geschrieben steht (Jesaja 29,13): »Dies Volk ehrt mich mit den Lippen; aber ihr Herz ist fern von mir.“ (Mk 7,6) und ich dachte dazu nur, daß mein Eindruck ist, daß doch genau das während des Gottesdienstes ablief. Als Kind saß man vorne und war damit im Blickfang der Leute. Und mein Eindruck war, daß die Leute mehr darauf aufpaßten, daß die Kinder „brav“ sind als auf den Gottesdienst an sich. Doch dann dachte ich, daß mein Eindruck wahrscheinlich falsch ist. Als ich später Ministrant wurde, erlebte ich die Kirche hinter den Kulissen. Es war schockierend für mich, zu sehen, wieviel Wert auf Show statt Echtheit gelegt wurde.
Der Pfarrer stand immer über allem, abgesehen von dem Streich einiger Ministranten, den Meißwein zu trinken und das ausgetrunkene mit Wasser zu aufzufüllen. Aber ein Pfarrer war irgendwo unantastbar, niemand wagte es, einen Pfarrer zu kritisieren. Gott sei Dank ist das heute anders. Und genau das ist das Problem der kath. Kirche heute: Die Unantastbarkeit der Geistlichen bröselt dahin, sie werden als „normale Menschen“ eingestuft. Genau das gefällt wiederum einigen „Hardlinern“ nicht, die sachliche Kritik seitens ihrer „Schäfchen“ bissig mit Floskeln à la „du bist antikatholisch“ oder gar „du bist antichristlich“ beantworten (das steht nicht im Artikel, das weiß ich aus anderer Quelle, die ich hier jetzt nicht nennen möchte ;)).
Pfarrer, die sich korrekt benehmen, haben dahingehend auch nichts zu befürchten, ich schätze mal auch, daß eben diese Pfarrer genau dort ein Umdenken eher begrüßen als ablehnen.
Den Gläubigen, die mit ihrer Kirche hadern, haben jedoch eine harte Entscheidung zu treffen: Bleibe ich oder gehe ich? Ich in 1993 gegangen und habe es nie bereut. Zum einen, weil ich innerhalb der Kirche nie echten Anschluß fand, zum anderen, weil die Dorfgemeinde, in der ich war, meinen (kindlichen) Glauben beinahe völlig gekillt hätte.
Als konfessionsloser Gläubiger fühle ich mich wohl, ich habe Anschluß zu Christen. Und mal ehrlich: Wer braucht schon eine Konfession? 😀
Wichtiger ist doch da eine (Orts)Gemeinde oder zumindest Anschluß zu Christen.
Das kommt mir doch allzu bekannt vor!
Für mich war es eine interessante Zeit, doch heute kommt mir das immer seltsamer vor.
Heute frage ich mich warum wir manches einfach so mitgemacht haben?!
Wollte man eben dabei sein? Geht man deshalb „Konzessionen“ ein wo es nicht wehtut?!
micky: Man wächst eben so auf. Und dann nimmt man vertrauensvoll erstmal das an, was einem gesagt/beigebracht wird. Und schon ist man in diesem Fahrwasser.
Ach, HoSsy, was soll ich dazu sagen?
Ich bin katholisch (auf dem Papier), d.h., ich bin katholisch aufgewachsen, habe Erstkommunion und Firmung mitgemacht und bin später auch als Organist tätig gewesen. Meinen Zivildienst habe ich unter dem Kommando von Vinzentinerinnen abgeleistet. Teile meiner Verwandtschaft steck(t)en noch tiefer drin, in Kirchenämtern oder nahe dran. Ich glaube, ich kenne den Laden so einigermaßen.
Die katholischen Würdenträger sind alle komisch. Benehmen sich eigenartig und haben Allüren, die nicht mehr einfach nur „Ecken und Kanten“ sind, die man jedem Menschen gerne zugesteht, sondern irgendwie befremdlich wirken. Viele sind Alkoholiker. Mixa- Dyba- und Degenhardt-Typen sind die Regel, nicht die Ausnahme.
Ich weiß, du magst Drewermann nicht, aber ich glaube, er bringt es auf den Punkt. Siehe http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/thema/1142644/
Wenn ich allerdings sehe, was sich konfessionslose Christen so alles einfallen lassen, dann denke ich mir: Ne, dann lieber doch diesen völlig beknackten Kirchenladen. Konfessionslose sind oftmals radikal; in den USA sind es diejenigen, die sich moralisch derart im Recht fühlen, dass sie mit Berufung auf Jesus die Todesstrafe befürworten und verteidigen, wie auch die Todesstrafe an Völkern, den Krieg. Während katholische Geistliche lediglich als Militärpfarrer mit in den Krieg ziehen und diesen schändlicherweise segnen, ihn aber nicht predigen. Die Kirche ist verrückt, aber sie lebt ihr Missverständnis der Worte Jesu einigermaßen gemäßigt aus, unfreiwillig komisch geradezu; und sie hat das Potenzial, potenziell Radikale abzufangen – das muss man ihr anrechnen.
Denn wenn ich mich zwischen Jesus-Beamten und Jesus-Kriegern entscheiden muss, nehme ich – zähneknirschend – lieber die Jesus-Beamten.
Wieso mußt Du zwischen Jesus-Beamten und Jesus-Kriegern entscheiden?
Wer behauptet das? Wer bestimmt das?
Ich brauche sie beide nicht !!!
Highlund: Ich denke, daß es bei Christen so ist wie bei anderen Gruppen. Sei es auf Demonstrationen, in der Amtskirche oder bei Freikirchen, gibt es immer eine Minderheit von Chaoten, die eben mehr auf sich aufmerksam machen als die überwiegende Mehrheit. Fakt ist, daß von den Kindesmißbrauchsfällen, so schlimm sie auch waren, nur ein kleiner Bruchteil in kirchlichen Einrichtungen stattfand. Und die Medien schlachten genau das aus.
Ich bin selbst 2006 von einem Reporter der „Main Post“ zu den Jesus Freaks (damals) in Bad Brückenau befragt worden. Seine Fragen waren geschickt gestellt und provozierten geradezu wirklich dumme Antworten. Ich wurde zB gefragt, wieso ich aus der kath. Kirche ausgetreten bin und ob ich denke, daß alle Katholen in der Hölle landen werden. Ich mußte zum Teil ziemlich aufpassen, nix falsches zu sagen. Die Frage beantwortete ich mit einem „darüber habe ich nicht zu richten.“
Ich denke, daß die überwiegende Mehrheit, auch in den USA, nicht für Todesstrafe ist, auch wenn es dort mehr solcher Hardliner gibt. Ich denke, daß George W. Bush nicht demokratisch gewählt wurde und ich hielt es für einen Witz, einen „Krieg im Namen der Demokratie“ anzuzetteln. Ob Bush Christ ist, oder nicht, kann ich nicht sagen, was er hier zu verantworten hat, ist, denke ich, nicht mit dem Willen Gottes vereinbar.
Warum? Weil sich die Befürworter von eben solchen Kriegen oder der Todesstrafe auf das Alte Testament (und nicht auf Jesus!) berufen, zum Großteil auf Gesetze, die für das Volk Israel galten, zu einer Zeit, als Israel ein Gottesstaat war. Dieser Gottesstaat ging spätestens mit der Niederlage Judas bzw. Jerusalems unter. Oder schächten etwa alle in den USA ihr Barbequeue-Fleisch? Essen sie nicht auch Schwein?
Im Neuen Testament sollen wir unsere Feinde lieben und wenn es ein Kampf gibt, dann geht der „nicht gegen Fleisch und Blut“ (Epheser 6,12).
Wierspricht sich Gott? Nein. Ich denke, Gott versuchte im Lauf der Jahrhunderte, auf verschiedene Weise Menschen anzuziehen, mit ihnen Gemeinschaft zu haben. Dazu hatte er verschiedene Strategien ausprobiert. Das mit dem Gottesstaat ging daneben, weil das Volk Israel Mist gebaut hat (in Hesekiel wird Israel bzw. Juda abscheulichste Sachen vorgeworfen).
Als Christ lebt man immer zwischen eigenes Nachdenken, eigene Pläne schmieden, aber genau auch dieses mit Gott abgleichen. Persönlich, direkt und nicht mit einem Theologen, der schnell den Eindruck erwecken könnte, daß er durch Schriftstudien Gott nähergekommen sein könnte als er selbst (wobei das ab und zu echt hilfreich sein kann).
Daß Christen viel gutes auf der Welt bewirkten und bewirken, wird auch oft vergessen und ausgeblendet. In Indien gäbe es heute immernoch offiziell Witwenverbrennungen, in Afrika gibt es eine Menge Hilfsprojekte, und auch sonst tun eine Menge Christen sehr viel Gutes, was, wenn es nicht mehr da wäre, wirklich fehlen würde.
Doch über diese Masse wird nicht wohlwollend geredet, stattdessen über einzelne religiöse Spinner, die aus meiner Sicht durch eben dieses mediale Ausschlachten viel zu viel Aufmerksamkeit bekommen.
„….als Christ lebt man immer zwischen eigenes Nachdenken, eigene Pläne schmieden, aber genau auch dieses mit Gott abgleichen. Persönlich, direkt und nicht mit einem Theologen…..“
@HoSnoopy:
Du sprichst mir aus der Seele!
Hach, ich bin echt erleichtert..!
HoS: Mediales Ausschlachten, Meinungsmache, Hetze – ja, das gibt es alles. Wenn beispielsweise die Bildzeitung den Besuch des griechischen Ministerpräsidenten Papandreou in Berlin zum Anlass nimmt, einen „offenen Brief“ an ihn zu veröffentlichen und darin zu behaupten, die Deutschen seien im Gegensatz zu den Griechen alle fleißige Frühaufsteher mit Sinn für wirtschaftliche Vernunft und sozialen Zusammenhalt (wie lächerlich…!), dann ist das natürlich unverschämt; denn es kämpft nicht deutsche Solidität gegen griechischen Schlendrian, sondern Arm gegen Reich – europaweit, weltweit.
Natürlich haben die Medien auch im Fall Mixa kräftig aufgedreht, sicherlich in vielen Fällen auch auf geschmacklose Art zuviel, aber ich kenne den Laden. Ich habe es schon mit so vielen katholischen Amtsträgern zu tun gehabt, dass ich sagen muss: Diese Mixas und Dybas und Degenhardts sind keine Ausnahmefälle, allenfalls besonders krasse Vertreter ihrer Zunft. Nicht, dass ich die nun für mediales Freiwild erklären wollte und es gutheißen würde, dass die mal ordentlich eins auf die Mütze kriegen – nein, ein solches Denken liegt mir völlig fern. Aber mal so rein von der Sache her habe ich keinen Zweifel daran, dass Kindesmisshandlung und -missbrauch in katholischen Kreisen weitaus öfter vorkommt als anderswo. Man kann die künstliche, lebensferne Atmosphäre in der kath. Kirche und deren Einrichtungen mit Händen greifen. Und wenn man ehrlich ist, kommt man einfach nicht umhin, auch gleich die Ursache dafür mit ins Kalkül zu ziehen: Es ist nun mal nicht besonders menschenfreundlich, ein bestimmtes Amt an die Bedingung zu knüpfen, nicht lieben zu dürfen. Das *kann* doch einfach nicht gutgehen…
Auch was die Radikalität der Christen in den USA angeht, sehe ich die Sache deutlich pessimistischer als du. Alle modernen prohibitionistischen Tendenzen kommen aus dem Bible-Belt und republikanischen Kreisen, beispielsweise die immer unverhohlener zur Schau gestellte Absicht, nicht nur – wie es durchaus vernünftig wäre – das Rauchen in Gemeinschaftseinrichtungen zu verbieten, sondern Rauchern auf moralisierende Art den Kampf anzusagen und sie in die Ecke zu treiben. Auch Mc Cains berühmter Schlachtruf „Drill, baby, drill!“ = „Macht euch die Erde untertan“ hat dort seinen Ursprung, mit den bekannten Folgen. Und was die Todesstrafe in den USA betrifft, so habe ich doch erhebliche Zweifel, dass eine Mehrheit dagegen ist. Siehe dazu auch http://www.todesstrafe.de/archiv/3145/Zwei_Drittel_der_US-Amerikaner_befuerworten_Todesstrafe.html .
Ich frage mich manchmal echt, warum die Menschen so blöde sind. So unbeholfen, so lebensuntüchtig, so feige. Es ist ja nicht so, dass Jesus das Übel in die Welt gebracht hätte, ganz im Gegenteil. Die Bergpredigt ist großartig und würde – nähme man sie endlich mal beim Wort – so ziemlich alle Probleme lösen, mit denen wir uns derzeit herumschlagen.
Highlund: Ich sehe vieles genauso wie du. Das mit den 2/3 der Amis wußte ich nicht und erschreckt mich ehrlichgesagt. Auch, daß sie es offenbar mit ihrem Glauben vereinbaren können. Wahrscheinlich ist es menschlich, sich einem „Führer“ anzuschließen und ihm nachzutrotten. Man bekommt alles vorgekaut und wähnt sich im Paradies, wenn man ihm nachfolgt. Ich bin mit meiner kritischen Art sowohl in der kath. Kirche als auch bei Freikirchlern angeeckt. Selberdenken scheint vielen offenbar zu anstrengend oder unbequem zu sein, weil es ständig unweigerlich den eigenen Glauben hinterfragt.
Auch das mit der kath. Kirche, und daß Mann dort nur (offiziell) ohne Beziehung Pfarrer wird, halte ich für fatal und ich sehe auch darin den Großteil der Folgen für eben diese traurigen Mißhandlungen.
Daß weite Teile der kath. Führungsriege meiner Meinung nach nicht mehr ganz dicht ist, hat wenig damit zu tun, was an der Basis geschieht. Ich wollte ausdrücken, daß viele Gläubige sehr viel gutes tun, auch wenn ihre Leiter groben Unfug machen. Ich behaupte sogar, daß die, die aktiv viel tun sehr kritisch gegenüber dem Vatikan & Co sind. Und genau da schafft(e) sich die Kirche ein gehöriges Problem, wenn sie quasi geistlich ihre tragenden Säulen absägt, indem ihre Leiter sagen: „Auch wenn ihr dagegen seid, machen wir es so.“, und damit ausdrücken, daß sie sich einen Scheißdreck um die scheren, auf denen ihre Position eigentlich gegründet ist.
Noch werden nur Kirchengebäude abgerissen – aber ich denke, der ganze Laden wird über weite Teile zusammenbrechen, wenn das so weitergeht. Ich weiß nur zu gut, was das für die Gläubigen bedeutet. Sie fragen sich „Wozu hab ich mir den Arsch aufgerissen, wo die Leitung jetzt alles zusammenbrechen läßt?“ und werden darüber bitter enttäuscht werden. So meine düstere Prognose für einige Pfarrgemeinden.
Da kann man nur hoffen, daß sich eben diese Leute außerkirchlich neu formieren. Und ich denke nicht, daß sie dabei im schlechten Sinn radikal werden, denn dazu sind sie dann viel zu erfahren. Sie haben gelernt, selbst zu denken und fallen nicht auf windige Prediger bzw. Strömungen herein, darauf hoffe ich jedenfalls.